„Wie wir das Klima retten und die Wirtschaft stärken“ – Gastkommentar von Martin Rohla
Die dringend notwendige Transformation der Wirtschaft eröffnet eine ganze Reihe neuer „grüner“ Marktchancen.
Österreich steigt nun als eines der letzten langjährigen EU-Mitglieder in die CO2-Bepreisung ein. Das ist ein, wenn auch später, historischer Moment. Milliarden werden in den kommenden Jahren bewegt, um die Wirtschaft in Richtung eines verantwortungsvollen Agierens zu steuern. Ein wahrhaft großer Schritt, auch wenn momentan vor allem noch primär darüber diskutiert wird, wie viel Taschengeld jeder künftig vom Staat bekommt, um sich die gestiegenen Heiz- und/oder Benzinkosten besser leisten zu können. Nichts gegen eine Debatte über den richtigen sozialen Ausgleich. Alles dafür, dass der Einstieg in die Klimapolitik nicht zum Bumerang wird und eine Gelbwesten-Bewegung provoziert.
Was bei aller gebotenen Sensibilität aber nicht übersehen werden darf: Die vielen praktischen Details dürfen nicht den Blick auf das große Ganze verstellen. Die Ökologisierung unserer Wirtschaft ist ein Jahrhundertprojekt im Weltmaßstab.
Aber, Entwarnung, hier kommt kein katastrophenschwangerer Weckruf „Es ist schon fünf nach zwölf“. Unser Ansatz im BürgerInnen Forum Europa ist es, Wirtschaft und Umwelt zusammen zu denken. Es gibt kein Entweder-oder. Unser Ziel: Gemeinsam mit den ÖsterreicherInnen den konkretesten Beitrag zur Debatte über die Zukunft Europas zu liefern. Dabei zeichnen wir eine Vision für Europa, die uns in allen Bereichen zukunftsfit macht.
Wir sind schon weiter
Denn es gibt auch viele Good News und Signale, dass wir auf diesem Weg schon weiter sind, als gemeinhin geläufig ist. Der Übergang zu einer nachhaltig agierenden Gesellschaft ist nicht nur eine dringende Herausforderung, sondern auch eine große Chance. Das entdecken in riesengroßen Schritten gerade auch KonsumentInnen und Unternehmen.
2015 haben sich 193 Länder am Sitz der UNO in New York auf 17 Sustainable Development Goals verständigt: Messbare und ineinandergreifende Ziele für nachhaltige Entwicklung, um die Welt auf zukünftige Herausforderungen und die grüne Wende bis 2030 vorzubereiten. Seit Einführung der SDG-Goals ist die EU führend im Kampf gegen den Klimawandel. Die Vision, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden, ist durch Unternehmergeist und Zusammenarbeit auf allen Gesellschaftsebenen keine Utopie mehr, sondern ganz realistisch umsetzbar.
Der EU Green Deal soll bis 2030 rund eine Billion Euro mobilisieren, um die Netto-Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu reduzieren, neue grüne Arbeitsplätze zu schaffen und nachhaltige Geschäftsmodelle zu unterstützen. Trotz Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum wurden die Treibhausgas-Emissionen in der EU zwischen 1990 und 2020 bereits durchschnittlich um zwei Prozent pro Jahr gesenkt – das ist großartig, aber noch nicht ausreichend. Um Hans Rosling zu zitieren: „Eine Sache kann gleichzeitig viel besser und schlecht sein.“
Branchenübergreifend ist die Verbrennung fossiler Brennstoffe mit 80 Prozent der Emissionen die größte Quelle von Treibhausgasen, weshalb die Dekarbonisierung ganz oben auf der EU-Agenda steht. Der Anteil erneuerbarer Energie in der EU liegt derzeit bei 15 Prozent, Österreich belegt mit 33 Prozent einen EU-weiten Spitzenplatz. Mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz soll die klimaneutrale Energiewirtschaft in Österreich bereits 2040 erreicht werden – also zehn Jahre vor dem EU-Ziel.
Der Verkehr trägt zu rund einem Drittel der CO2-Emissionen in der EU bei. Der Umstieg auf emissionsfreie und intelligente Mobilität ist spielentscheidend. E-Mobilität befindet sich noch in einer frühen Phase, und es wird dauern, bis Wertschöpfungsketten angepasst werden. Aber wir müssen uns nur die aktuellen Kampagnen aller großen Autohersteller anschauen: Schon in wenigen Jahren wird es kaum mehr Verbrenner auf den Straßen geben. Ein Teil der Umstiegskosten soll durch jährlich steigende CO2-Steuern für Straßen-, Luft- und Wasserverkehr gefördert werden. Das ist ein Impetus für die Entwicklung innovativer Mobilitätskonzepte und Geschäftsmodelle, die eine attraktive Alternative bieten.
Industrie und Handel sind nach dem Verkehr der zweitgrößte Treibhausgasemittent. Ökobilanzen auf Industrie-, Firmen- und Produktebene tragen schon jetzt dazu bei, CO2-Einsparungspotenziale und neue Geschäftschancen zu identifizieren. Dass Greenwashing sehr kurze Beine hat, haben mittlerweile schon alle großen Unternehmen erkannt. Da die Europäische Union ein wichtiger globaler Absatzmarkt ist, haben diese Initiativen einen positiven Einfluss auf Zulieferer aus anderen Kontinenten. Zumal die EU plant, die Einfuhr CO2-intensiver Produkte mit entsprechenden Zöllen zu sanktionieren.
Branchenübergreifend spielt aber die Lebensmittelwertschöpfungskette die wichtigste Rolle zur Erreichung der Klimaneutralität. Dementsprechend ist ein Drittel des Budgets im Green Deal für die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ reserviert. Diese Transformation eröffnet eine Reihe neuer „grüner“ Marktchancen, angefangen bei Regionalität und Abfallvermeidung bis zur Entwicklung innovativer Produkt-, Verpackungs- und Vertriebskonzepte. Eines unserer Projekte in der Goodshares, der „Kastlgreissler“, revolutioniert z. B. gerade höchst erfolgreich die Nahversorgung in ländlichen Gemeinden. Zudem reizen entsprechende EU-Förderungen zu Investitionen in alternative Lösung zur CO2-Aufnahme und -Speicherung.
Greenwashing wird schwerer
Die Wirtschaftsexperten von Bloomberg schätzen, dass sich nachhaltiges Investment in den vergangenen zehn Jahren auf rund 500 Milliarden Euro verdoppelt hat. Die nächsten zehn Jahre versprechen ein Vielfaches dieser Summe zu mobilisieren. Bereits heute aktivieren die Finanzierungszusagen des Green Deal und SDG-orientierte Investment-Portfolios der Big Banks und großen VCs stratosphärische Billionen-Beträge.
Greenwashing durch oberflächliche Projekte, die nur das Firmenimage aufpolieren sollen, wird zunehmend schwerer. Staatliche und private Kapitalgeber (und vor allem die KonsumentInnen!) legen erhöht Wert auf konkrete, messbare SDG-Leistungen, transparente Marken und Produkte. In Europa war es noch nie so leicht, bei den „grünen“ Apples und Facebooks von morgen vorn mit dabei zu sein. Überall in der EU werden öffentliche Mittel mit „grünen Schnüren“ vergeben, um in eine nachhaltige Zukunft zu investieren. Ein erstes Ergebnis kann sich sehen lassen: Fast die Hälfte der 100 nachhaltigsten Unternehmen der Welt haben ihren Sitz in Europa.
In einer vernetzten globalen Gesellschaft, die vor großen Herausforderungen steht, ist die Vorbildrolle der EU-BürgerInnen wichtiger denn je. Die Vision, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden, ist nicht nur eine Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen. Sie birgt auch viele Chancen für Wirtschaft und innovative UnternehmerInnen.