EU-Sozialgipfel: Die Chancen von Corona – Ein Kommentar von Margaretha Kopeinig
Wir kennen die schockierenden Bilder der Pandemie: Ärzte, Krankenschwestern, Pflegerinnen und Pfleger in Schutzbekleidung und mit Maske im Gesicht, die schwerkranke Covid-19-Patienten behandeln; Supermarkt-Kassiererinnen im Dauerstress; Betagte in Pflegeheimen, die rund um die Uhr betreut werden müssen und auf ihre 24-Stunden-Hilfe warten, die nicht kommen kann, weil die Grenzen dicht sind. Wir haben den Menschen, die in diesen systemrelevanten Berufen arbeiten – und es sind noch viele mehr als hier aufgezählt – während der Corona-Krise heftig applaudiert. Wir haben ihre Dienste als Leistungsträger unserer Gesellschaft sehr geschätzt.
Wie es weiter geht, wissen wir noch nicht. Aber wir wissen eines: Es geht um soziale Absicherung und Fairness. Die Arbeitslosigkeit in der EU steigt. Die Arbeitsbedingungen in vielen Bereichen verschlechtern sich und viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind einer Dauerbelastung ausgesetzt. Es gibt nicht wenige, die mit ihrem Einkommen kaum überleben.
Laut Eurostat sind derzeit etwas mehr als 16 Millionen Menschen in der EU arbeitslos (saisonbereinigt), davon rund 3,2 Millionen unter 25 Jahren. Armut ist in Europa ein Thema, auch in den reichen Staaten. Etwas mehr als 22 Prozent der Bevölkerung sind laut EU-Kommission von Armut betroffen, besonders Frauen und ältere Menschen, und 25 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind gefährdet, in Armut zu schlittern. Sie haben dann kaum Chancen auf ausreichende Bildung und einen Job, der sie ernährt.
Lassen wir es nicht dabei, fordern wir von der EU-Mitgliedsländern Taten.
Der EU-Sozialgipfel am 7. und 8. Mai in Porto, an dem nicht nur die Staats- und Regierungschefs teilnehmen, sondern auch Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Vertreter sowie Abgeordnete des Europäischen Parlaments, bietet die Möglichkeit, ein sozialeres Europa zu schaffen. Es liegt an den Regierungschefs, ein Mindestmaß an finanzieller und sozialer Sicherheit für alle EU-Bürgerinnen und Bürger zu beschließen. Die Pandemie hat die Diskussionen über solche Mindeststandards befeuert, denn das Virus verstärkt soziale Ausgrenzung und stellt die Frage der Armutsbekämpfung und der Gerechtigkeit akut in den Vordergrund.
Es braucht einen rechtsverbindlichen EU-Rahmen für Grundsicherungssysteme. Das heißt nicht, dass es überall gleich aussieht, es ist keine Harmonisierung angestrebt, wie von manchen befürchtet. Eng verknüpft mit der Frage der Mindestsicherung ist das Thema Mindestlöhne. Denn zur Absicherung der Menschen gehört nun einmal eine faire Entlohnung von Arbeit. Zum Thema Mindestlöhne liegt ein Kommissionsvorschlag vor, der derzeit in Rat und EU-Parlament verhandelt wird. Die beiden Berichterstatter im EU-Parlament (von EVP und S&D) unterstützen den Vorschlag.
Vor wenigen Wochen hat die EU-Kommission einen Aktionsplan für soziale Rechte vorgelegt und drei Kernziele bis 2030 formuliert:
- Mindestens 78 Prozent der 20- bis 64-Jährigen sollten einer Beschäftigung nachgehen.
- Mindestens 60 Prozent aller Erwachsenen sollten jedes Jahr an Fortbildungen teilnehmen.
- Die Zahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen sollte um mindestens 15 Millionen verringert werden.
Das sind große Ziele. Allerdings muss wahrheitsgemäß auch gesagt werden, dass diese Ziele schon vor Jahren angepeilt, aber leider nicht erreicht worden sind.
Was es jetzt braucht ist die Zustimmung und das Engagement der Mitgliedsländer. Und natürlich eine breite Diskussion an der sich die Zivilgesellschaft, die Gewerkschaften und die Unternehmen für diese sozialpolitischen Ziele einsetzen. Wir dürfen eines nicht vergessen: In Eurobarometer-Umfragen sind die Hauptanliegen der Bürgerinnen und Bürger stets Beschäftigung, Bildung, Gesundheitsdienste und der Erhalt der Pensionen. Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um vom „Reden zum Handeln“ zu kommen.
Mit dem Aktionsplan für ein soziales Europa ist zugleich auch ein Schritt in Richtung „Zukunft Europa“ gesetzt. Jede Diskussion über sozialpolitische Grundprinzipien der EU, die wir als BürgerInnen Forum Europa mit allen Beteiligten aufnehmen, ist ein Schritt in Richtung einer gemeinsamen, fairen und gerechten Europäischen Union, die uns aus der Krise hinausführt und auf einen Weg des Zusammenhaltes und des Wachstums bringt. Beteiligen wir uns an dieser Diskussion, weil sie uns mehr Sicherheit und mehr Europa bringt.
Margaretha Kopeinig ist Journalistin, Autorin und Vorstandsmitglied im BürgerInnen Forum Europa.