Die Transformation als Chance
2019 kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Agenda für Europa den European Green Deal an. Damit erklärte sie die Klimaneutralität und den Kampf gegen den Klimawandel zur Priorität für Europa.
Darin wird unter anderem eine Reduktion der CO2-Emmissionen bis 2030 um nicht weniger als 55 % gegenüber 1990 und das vollkommene Erreichen der Klimaneutralität bis 2050 festgelegt. Außerdem soll mit der Einführung eines CO2-Grenzausgleichs die Verlagerung von CO2-Emissionen und die Regelkonformität mit WHO-Vorgaben erreicht werden. Zugleich werden damit die Verpflichtungen der EU im Rahmen des Übereinkommens von Paris (2015), die eine Begrenzung der Erderwärmung gegenüber der Durchschnittstemperatur in vorindustrieller Zeit auf weniger als 2 °C vorsehen, erfüllt.
Das EU-Mitglied Österreich steht in vielen Punkten gut da, etwa im Bereich des Anteils erneuerbarer Energie, der – im Vergleich zum EU-Durchschnitt von etwa 20 % – bei letztlich ca. 34 % lag. Österreich will seinen Strombedarf bis 2030 bilanziell zu 100 % aus erneuerbaren Energien decken. Das Ziel der Klimaneutralität möchte Österreich 2040 – also bereits 10 Jahre vor dem EU-Ziel – erreichen.
Überdies entschied sich auch Österreich schließlich als einer der letzten langjährigen EU-Mitgliedsstaaten in die CO2-Bepreisung einzusteigen – jede Tonne CO2 kostet hierzulande dann 30 Euro. Milliarden werden und müssen in den kommenden Jahren bewegt werden, um die gesamte Wirtschaft in eine Öko-Wirtschaft zu transformieren.
Diese Transformation hat naturgemäß zur Folge, dass Heiz- und Benzinkosten steigen, was nun durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine in nie dagewesener Art weiter befeuert wird.
Daher braucht es auch eine Debatte über den richtigen sozialen Ausgleich, um den Einstieg in die Klimapolitik nicht zum Bumerang zu machen und eine Gelbwesten-Bewegung hervorzurufen. Eine weitere Spaltung der Bevölkerung, die durch die Fluchtbewegung 2015 sowie resultierende Rechtspopulismen entfacht und durch die COVID-19-Pandemie auf die Spitze getrieben wurde, gilt es mit allen Mitteln abzuwenden. Wie Corona-Leugner dürfen nicht auch Klimawandel-Leugner durch Paternalismus und Populismen politisch befeuert werden. Politische Partizipation muss vielmehr gestärkt werden und die Notwendigkeiten und Bedürfnisse der Menschen ernst genommen werden.
Gleichzeitig darf die gebotene Sensibilität und die vielen praktischen Details uns nicht den Blick auf das große Ganze verstellen. Die überfällige Ökologisierung unserer Wirtschaft ist ein Jahrhundert-Projekt im Weltmaßstab.
Dieses Herkulesprojekt hat sich der European Green Deal zur Aufgabe gemacht, um in unzähligen Politikbereichen Reformen zur Bewältigung dieser durchzuführen. Energie, Digitaltechnik, Verkehr, Mobilität und Landwirtschaft sind nur einige Beispiele – die Überlappungen und Überschneidungen zu vielen anderen EU-Politikbereichen zudem unübersehbar.
Branchenübergreifend ist die Verbrennung fossiler Brennstoffe die größte Quelle von Treibhausgasen, weshalb die Dekarbonisierung ganz oben auf der EU-Agenda steht.
Der Verkehr trägt zu rund einem Drittel der CO2-Emissionen in der EU bei; der Umstieg auf emissionsfreie und intelligente Mobilität ist also spielentscheidend. E-Mobilität befindet sich noch in einer frühen Markteinführungsphase und es wird dauern bis Wertschöpfungsketten vom Abbau der Rohstoffe bis zur Stromversorgung der E-Mobilität angepasst werden.
Ein Teil der Umstiegs-Kosten wird durch jährlich steigende CO2-Steuern für Straßen-, Luft-, und Wasserverkehr gefördert werden. Das ist ein Impetus für die Entwicklung innovativer Mobilitätskonzepte und Geschäftsmodelle, die BürgerInnen und Gütern eine attraktive Alternative bieten.
Industrie und Handel sind nach dem Verkehr der zweitgrößte Treibhausgasemittent. Ökobilanzen auf Industrie-, Firmen-, und Produktebene tragen schon jetzt dazu bei, CO2-Einsparungspotenziale und neue Geschäftschancen zu identifizieren. Da die Europäische Union ein wichtiger globaler Absatzmarkt ist, haben diese Initiativen einen positiven Einfluss auf Zulieferer aus anderen Kontinenten. Zumal die EU plant, die Einfuhr ausgewählter CO2-intensiver Produkte mit entsprechenden Zöllen zu sanktionieren.
Über die Branchen hinweg spielt aber die Lebensmittelwertschöpfungskette die wichtigste Rolle zur Erreichung der Klimaneutralität. Dementsprechend ist ein Drittel des Budgets im European Green Deal für die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ reserviert. Diese Transformation eröffnet eine Reihe neuer grüner Marktchancen, angefangen bei Regionalität und Abfallvermeidung hin zur Entwicklung innovativer Produkt-, Verpackungs- und Vertriebskonzepte. Zudem müssen Investitionen in alternative Lösungen zur CO2-Aufnahme und -Speicherung gefördert werden und so ein Impuls zur Renaturierung europäischer Böden, Wälder und Feuchtgebiete gesetzt werden.
Seit Einführung der Sustainable Development Goals (SDGs) der UNO im Jahr 2015 ist die EU führend im Kampf gegen den Klimawandel. Damit besteht auch die einmalige Chance wieder Vorreiter und Vorbild für andere Staaten und Kontinente zu sein. Die eingangs erwähnte Vision, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden, ist durch Unternehmergeist und Zusammenarbeit auf allen Gesellschaftsebenen keine Utopie mehr, sondern durchaus umsetzbar.
Die Mobilisierung von rund 1 Billion Euro bis 2030 durch den Green Deal der EU wird also nicht nur die Abgas-Emissionen drastisch senken, sondern auch neue grüne Arbeitsplätze schaffen, nachhaltige Geschäftsmodelle unterstützen und Entrepreneurship in klimarelevanten Bereichen fördern.
Insofern müssen Wirtschaft und Umwelt zusammen gedacht werden; es gibt kein Entweder-Oder. Denn genauso wenig wie sich Wirtschaft und soziale Rücksichtnahme widersprechen, so wenig tun dies Wirtschaft und umweltbewusstes Handeln. Richtig geplant und koordiniert bereichern sie sich nämlich sogar gegenseitig. Der Übergang zu einer klimaneutralen Gesellschaft ist somit nicht nur eine unmittelbare Herausforderung, sondern wird auch zur großen Chance.
Es geht um nicht weniger als den größten neuen Markt seit dem Vormarsch des Internets, der durch die Grüne Wende eröffnet wird. Die Wirtschaftsexperten von Bloomberg schätzen, dass sich nachhaltiges Investment in den letzten zehn Jahren auf rund 500 Milliarden Euro verdoppelt hat. Die nächsten zehn Jahre versprechen ein Vielfaches dieser Summe zu mobilisieren. Bereits heute aktivieren die Finanzierungs-Zusagen des Green Deal und SDG-orientierte Investmentportfolios der Big Banks stratosphärische Billionen-Beträge. Unternehmen, die sich der Umsetzung der SDGs verschreiben, könnten so die Apples und Facebooks von morgen sein.
Ein erstes Ergebnis kann sich sehen lassen: Bereits heute sind europäische Unternehmen in der Grünen Wende vielen anderen in der Welt einen Schritt voraus. Fast die Hälfte der 100 nachhaltigsten Unternehmen der Welt haben ihren Sitz in Europa.
Dabei muss Greenwashing durch oberflächliche Projekte, die nur das Firmen-Image aufpolieren sollen, deutlich erschwert werden. Die EU-Taxonomieverordnung ist daher ein nötiges Tool, um nicht letztlich umweltschädliche Praktiken mit einem grünen „Mascherl“ zu versehen. Hierbei dürfen jedoch nicht nachhaltige Energien wie fossiles Gas oder Atomkraft, deren Endlagerungsfrage noch immer nicht geklärt ist, nicht formell legitimiert werden. Vielmehr muss klar und deutlich eine dicke rote Linie zwischen klima- und umweltschädlichen Vorgängen und nachhaltigen Zukunftsinvestitionen gezogen werden.
Zugleich muss jedoch auch ein breites Bewusstsein für die Vorteile umweltbewussten Handelns für die Wirtschaft bei den UnionsbürgerInnen geschaffen werden und die Menschen so bei den notwendigen Veränderungen mitgenommen werden.
Dabei ist es unumgänglich den KonsumentInnen und den Wirtschaftstreibenden genau zuzuhören und ihre Wahrnehmungen und Wünsche bei den Reformprozessen der Europäischen Union zu berücksichtigen.
Denn in einer vernetzten globalen Gesellschaft, die vor großen Herausforderungen steht, ist die Vorbildrolle der EU-BürgerInnen wichtiger denn je. Die Vision, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden, ist nicht nur eine Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen. Sie birgt auch viele Chancen für die Wirtschaft und innovative UnternehmerInnen.