Grüne Industriepolitik
Klimaneutrale Industrie 2050 als wirtschaftliche Chance
Die Industrieproduktion macht in Europa rund 22 %, in Österreich sogar 34 % der Gesamtemissionen aus. Dabei reden wir nur von den direkten, sogenannten Scope 1-Emissionen, welche am jeweiligen Produktionsstandort entstehen. Dazu kommen noch die Scope 2-Emissionen für eingesetzten Strom oder Wärme. EU weit benötigt die Industrie ca. 35 % des Gesamtstromverbrauchs (in Österreich sogar 44 %), wobei der Strom im EU-Durchschnitt erst zu 34 % erneuerbar ist (in Österreich schon zu 75 %). Die für den Klimaschutz tatsächlich relevante Betrachtung müsste auch die Scope 3-Emissionen berücksichtigen, das würde dann den kompletten CO2-Fussabdruck sämtlicher Vorprodukte inkludieren. In der gesamthaften Scope 3 Betrachtung wird auch klar, dass jedem Konsum von Gütern bei uns in Europa ein CO2-Fussabdruck innewohnt, der in einer komplexen Wertschöpfungskette an verschiedenen Orten auf der Welt entsteht.
Wenn Europa Vorreiter im Klimaschutz und auf Linie des Pariser Klimaabkommens ab 2050 klimaneutral sein möchte, hilft es nicht, die EU-Industriestandorte noch weiter abzubauen und in andere Länder zu verlagern, da dies nur zu einer Verschiebung der Emissionen wie auch der Arbeitsplätze führen würde und wir darüber hinaus die Kontrolle und die Initiative zur Entwicklung nachhaltiger innovativer Technologien abgeben würden.
Die grüne Transformation ist somit eine Chance für Europas Industrie, mit Forschung und neuen nachhaltigen Technologien eine aktive Rolle einzunehmen und damit Investitionen, Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Europa zu sichern. Die Europäische Kommission geht in ihrer im März 2022 veröffentlichten „Industrial Technology Roadmap for low-carbon Technologies“ davon aus, dass 34 Mrd. Euro für F&E Ausgaben und insgesamt 800 Mrd. Euro für Investitionen zur Umsetzung der Klimaneutralität in der Industrie bis 2050 aufgebracht werden müssen. Für die österreichische Industrie haben AIT, Montanuniversität Leoben, JKU Linz und die Energieagentur Investitionskosten von 6-12 Mrd. Euro bis 2040 geschätzt. Es geht somit nicht um eine Deindustrialisierung Europas, sondern um die vollständige Entkopplung der Wirtschaft von Treibhausgasemissionen, mit viel Innovation und gewaltigen Investitionen sowie einem Regulierungsrahmen, der fairen Wettbewerb sichern soll. Das ist der Europäische Green Deal für die Industrie!
Welche Entwicklungspfade, welche Technologien und welche Investitionen in Richtung Klimaneutralität sind umsetzungsreif?
Der Großteil der Industrieemissionen entsteht in nur drei Sektoren, nämlich Stahl, Chemie und Zement und hat als besonderes Charakteristikum, dass mehr als die Hälfte der Emissionen nicht energiebedingt, sondern durch den chemischen Prozess bestimmt sind.
Die klassischen Ansätze Energieeffizienz und Einsatz erneuerbarer Energien, die beispielsweise bei der Dampferzeugung in der Papierindustrie erfolgreich zur Dekarbonisierung führen, greifen bei diesen Prozessemissionen zu kurz. Zur Vermeidung der CO2-Emissionen bei der Reduktion von Eisenerz ist ein völlig neuer, innovativer Hochofenprozess mit grünem Wasserstoff als Reduktionsmittel der wissenschaftliche Konsens. Für die geogenen Emissionen bei der Zementerzeugung erscheint das „Herausfiltern“ von Kohlendioxid und dessen Bindung in möglichst dauerhaften Produkten oder CO2-Senken als Mittel der Wahl (CCU – Carbon Capture Utilisation).
Generell gilt es, möglichst ressourcenschonend auf Recycling und Kreislaufwirtschaft zu setzten. So ist bei der Stahlerzeugung der Einsatz von Stahlschrott statt Primärerz eine weitere zentrale Maßnahme, die es erlaubt, den Schmelzprozess zu elektrifizieren und die prozessbedingten Emissionen von vornherein auf ein Minimum zu reduzieren.
Im Ergebnis bedeuten diese Technologien ein Phasing-Out von Erdgas auch in der Industrie und ein stark steigender Bedarf an grünem Wasserstoff und Strom. Dabei geht es insbesondere beim benötigten Wasserstoff um Mengen, die wohl nur in internationalen Partnerschaften mit Nachbarregionen wie Nordafrika z.B. mit großen PV Anlagen in den Wüstengebieten kostengünstig aufgebracht werden können. Als Konsequenz des Ukrainekrieges schlägt die Europäische Kommission in ihrer „REPowerEU-Mitteilung“ folgerichtig eine Beschleunigung dieser Wasserstoffproduktion in „Green Hydrogen Partnerships“ auf über 20 Mio. Tonnen bis 2030 vor, um das Erdgas nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch zur Reduktion der Abhängigkeiten möglichst rasch zu substituieren.
Die industriepolitischen Säulen des EU Green Deal
Auf EU-Ebene wird grüne Industriepolitik derzeit auf verschiedensten Ebenen gestaltet und beeinflusst:
- Mit der Einigung zum EU-Klimagesetz im Mai 2021 wurde die Klimaneutralität 2050 und das -55 % Emissionsreduktionsziel für 2030 rechtlich verbindlich festgeschrieben.
- Der neue EU-Finanzrahmen 2020−2027 enthält eine Reihe von Initiativen zur finanziellen Unterstützung einer grünen Industriepolitik, insbesondere (aber nicht nur) das Next Generation EU-Aufbaupaket über 750 Mrd. Euro. Auch die Mittel für die Nachbarschaftspolitik, wie der stark ausgebaute Garantierahmen des European Fund for Sustainable Development sollen die grüne Transition in internationalen Partnerschaften voranbringen.
- Das wesentlichste Steuerungsinstrument für die Industrie bleibt das EU-Emissionshandelssystem und wird für die Zukunft erweitert und noch wirksamer gestaltet. Als wichtigste Neuerung soll ein Klimazoll – „Carbon Border Adjustment Mechanismus“ (CBAM) – eine Vorreiterrolle Europas ermöglichen, indem Importgüter äquivalent mit CO2 Kosten belastet werden. Die Einnahmen sollen zweckgebunden in den EU-Innovationsfonds fließen, wodurch ein EU weites Förderinstrument mit „Carbon Contracts for Differences“ aufgebaut werden soll.
- Die Europäische Kommission hat „Eine neue Industriestrategie für Europa“ vorgelegt, arbeitet an Transitionspfaden für die energieintensive Industrie, und hat mit der im Dezember 2021 vorgelegten Mitteilung „Sustainable Carbon Cycles“ einen ersten Rahmen für CCUS in der Industrie aufgeschlagen.
- Mit dem neuen EU-Beihilferahmen für Energie- Klima- und Umweltbeihilfen sowie für länderübergreifende Großprojekte „Important Projects of Common European Interest (IPCEI)“ sollen nationale Finanzierungsspielräume ermöglicht und gleichzeitig fairer Wettbewerb im Binnenmarkt gesichert werden.
- Im März 2022 legte die Europäische Kommission die „Sustainable Products Initiative“ vor. Damit wird der Rahmen für künftige Ökodesign-Regulierungsakte gesetzt.Produktspezifisch sollen Standards und Auszeichnungspflichten für CO2-Fußabdruck, Rezyklierbarkeit und weitere für die Ressourceneffizenz maßgebliche Eigenschaften festgelegt werden, um so auch nachfrageseitig eine Dynamik in Richtung nachhaltige Produkte zu unterstützen.
Fokus auf das Wesentliche und konkrete Vorschläge zur Umsetzung
Die Einführung des Klimazolls (CBAM) ist das zentrale Instrument zur Schaffung eines fairen internationalen Handels bei gleichzeitiger Durchsetzung einer CO2-Bepreisung. Gratiszuteilungen werden in einer Übergangsphase notwendig sein, sollten aber an tatsächliche Investitionen in innovative Technologien an EU-Standorten gebunden werden. Es sollte nicht mehr ermöglicht werden, dass Gratiszuteilungen aufgrund schleichender Produktionsverlagerung in Nicht-EU-Standorte innerhalb eines Konzerns lukriert werden und im Ergebnis Auslandsinvestitionen befördern. Ebensowenig sollte es ermöglicht werden, dass Gratiszuteilungen aufgrund von Produktionsrückgängen ohne Reinvestition lediglich zur Gewinnmaximierung ausgeschüttet werden. Andererseits braucht es auch WTO-konforme Mechanismen, die einen fairen Wettbewerb für europäische Exporte in Drittländer sicherstellen.
Der CBAM, der im aktuellen Vorschlag nur für die sechs Basisprodukte Eisen, Stahl, Aluminium, Zement, Dünger und Strom vorgesehen ist, sollte möglichst rasch auch auf weitere wichtige Produktkategorien ausgeweitet werden, um auch diesen eine Wettbewerbsgleichheit gegenüber Importprodukten zu sichern. So verhindert beispielsweise der CBAM auf Dünger, dass günstiger nicht klimakostentragender Drittland-Dünger von EU-Landwirten importiert werden kann, und schützt damit die EU-Düngemittelerzeuger. Die darauf aufbauende EU-Landwirtschaftsproduktion z.B. von Weizen hat dadurch jedoch einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Importweizen aus Drittländern, der mit emissionskostenfreiem Dünger produziert wird. Deshalb sollten auch wesentliche nachgelagerte Produkte, wie landwirtschaftliche „Commodities“, aber auch auf Basis fossiler Ausgangsstoffe erzeugte petrochemische Produkte wie Chemikalien und Plastik, in den CBAM Anwendungsbereich einbezogen werden. Nicht zuletzt sollte auch der in Zukunft für die Industrieproduktion extrem bedeutsame Wasserstoff analog zu Strom ehestmöglich in das CBAM System einbezogen werden, damit nicht fossiler „grauer oder brauner“ Importwasserstoff die Erzeugung von grünem Wasserstoff unterminiert.
Die künftige klimaneutrale Industrie benötigt große Mengen an grünem Wasserstoff. Die EU sollte möglichst rasch CO2-neutrale Wasserstoffproduktion in Nachbarstaaten, insbesondere in der MENA Region auf Basis von Sonnenenergie in einem partnerschaftlichen und entwicklungspolitisch verantwortlichen Ansatz unterstützen. Die Zeit ist reif, um eine moderne, auf grünem Wasserstoff als Speicher- und Transportmedium aufbauende “Desertec-Vision“ nachhaltig umzusetzen. Dazu braucht es vertrauensbildende Maßnahmen und Vereinbarungen zwischen Wasserstoff importierenden und exportierenden Ländern über Standards und Investitionsrahmenbedingungen. Europa sollte nicht warten, bis die OPEC auch Wasserstoff kartelliert und dominiert, sondern als Wasserstoff importierende Region die geeigneten multilateralen Rahmenbedingungen und Institutionen proaktiv aufbauen. Der UNO Standort Wien als bewährter Hub für internationale Energieorganisationen (Energiegemeinschaft, UNIDO, IAEA, OSCE, SE4All, OPEC, usw.) erscheint dafür bestens situiert. Parallel dazu braucht es die innereuropäische Infrastruktur, die auch die Binnenstaaten ausreichend berücksichtigt.
Kreislaufwirtschaft ist nicht nur der Schlüssel für mehr Materialeffizienz zur Vermeidung von Prozessemissionen, sondern auch für den Umgang mit CO2 per se. Verbleibende Prozessemissionen der Industrie müssen mittels Carbon Capture-Technologien aus den Abgasen abgefangen werden. Auch Erdgas kann langfristig mittels Pyrolyse dekarbonisiert werden indem der Kohlenstoff herausgefiltert wird. In weiterer Folge können Kohlenstoff und CO2 in Produktkreisläufe gebracht werden: E-Fuels, Polymere, Dünger und Humusaufbau. Der Aufbau einer EU-weiten Infrastruktur und eines EU-weiten Marktes für einen solchen nachhaltigen Kohlenstoff-Kreislauf sollte mit allen vorhandenen Instrumenten vorangetrieben werden. Es braucht einen stabilen rechtlichen Rahmen für CO2-Recycling (CCU), da andernfalls der Zug in Richtung CO2-Storage (CCS) abfährt, der begrenzte Speicherkapazitäten nur einmalig nutzt und weite Transportwege erfordert.
Im Sinne einer maximalen Innovationsstimulierung sollten bei den notwendigen Förderinstrumenten sowohl Subsidiarität, Technologieoffenheit als auch das bewährte beihilfenrechtliche Prinzip des Vorrangs von Investitionsförderung gegenüber langjähriger Betriebskostenförderung beachtet werden. Subsidiarität bedeutet auch Flexibilität für nationale Systeme im Sinne einer raschen Umsetzung und eines positiven Standortwettbewerbs − zum Beispiel bei neuen Carbon Contracts for Difference-Systemen oder bewährten „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI-Batterien, IPCEI-Wasserstoff, eventuell weitere IPCEI in den Bereichen CCU und Kreislaufwirtschaft). Förderungen sollen die hohen Kosten- und Entwicklungsrisiken neuer grüner Technologien ausgleichen, Märkte schaffen, Wettbewerb und Innovation fördern und nicht in ein bürokratisches Planwirtschaftssystem kippen.