Neue Grundrechte
Die letzten Monate haben die Kraft, aber auch die Verletzlichkeit der Europäischen Union auf noch nie dagewesene Weise verdeutlicht. Gesundheit, Frieden und Demokratie in Europa sind leider keine Selbstverständlichkeit mehr. Gleichzeitig agiert die EU an vielen Stellen so geeint wie selten und zeigt darin ihre fundamentale Bedeutung.
Aber die Herausforderungen unserer Zeit sollten wir nicht immer erst im Krisenmodus und reaktiv bewältigen. Wir wollen und müssen Globalisierung, Digitalisierung und (sozialen) Frieden vorausschauend, transparent und fair ausgestalten. Auch die bevorstehende Klimakrise kann nur geeint abgewendet werden. Und gegen das Erstarken von Autokratien und systematische Lügen in der Politik müssen wir unsere Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit und Aufklärung setzen.
Diese Veränderung braucht eine gemeinsame Vision, gar eine Utopie und einen stabilen Rahmen in Form geteilter, wirksamer Werte. Die Gelegenheit dafür ist jetzt!
Die Ergebnisse der Konferenz zur Zukunft Europas öffnen einen Raum, in dem wir die Europäische Union und das, was sie zusammenhält, neu denken können und müssen. Und zwar als Großes und Ganzes, als eine demokratische und souveräne Rechte- und Wertegemeinschaft. Es geht jetzt um ein spezifisches und wirksames Follow-Up der Zukunftskonferenz.
Der erster Schritt ist ein Update der EU-Grundrechtecharta um die genannten Themen und eine höhere Durchsetzbarkeit durch ein Klagerecht für jeden Menschen. Denn Grundrechte bieten einen gemeinsamen Rahmen und Orientierung. Für Regierungen sind sie Richtschnur ihres Handelns, für die Menschen sind sie die Basis unseres Gesellschaftsvertrages und unseres Zusammenlebens.
Neue Grundrechte, die die bestehenden ergänzen, könnten auf der Grundlage folgender Vorschläge der Initiative „Jeder Mensch“ diskutiert werden:
Artikel 1 – Umwelt
Jeder Mensch hat das Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben.
Artikel 2 – Digitale Selbstbestimmung
Jeder Mensch hat das Recht auf digitale Selbstbestimmung. Die Ausforschung oder Manipulation von Menschen ist verboten.
Artikel 3 – Künstliche Intelligenz
Jeder Mensch hat das Recht, dass ihn belastende Algorithmen transparent, überprüfbar und fair sind. Wesentliche Entscheidungen muss ein Mensch treffen.
Artikel 4 – Wahrheit
Jeder Mensch hat das Recht, dass Äußerungen von Amtsträgern der Wahrheit entsprechen.
Artikel 5 – Globalisierung
Jeder Mensch hat das Recht, dass ihm nur solche Waren und Dienstleistungen angeboten werden, die unter Wahrung der universellen Menschenrechte hergestellt und erbracht werden.
Artikel 6 – Grundrechtsklage
Jeder Mensch kann wegen systematischer Verletzungen dieser Charta Grundrechtsklage vor den europäischen Gerichten erheben.
Die Neugestaltung der EU-Grundrechtecharta erfordert aber – wie einige andere entscheidende Vorschläge aus den Empfehlungen der Zukunftskonferenz auch – eine Änderung der Verträge und damit einen Europäischen Konvent nach Artikel 48 des EU-Vertrags.