Umgang mit Zielkonflikten
Unser bisheriges Wirtschaftssystem – beruhend auf Wirtschaftswachstum und fossilen Energien – hat uns in den Industrienationen viel Wohlstand gebracht. Wohlstand, der es uns ermöglicht hat, ein gutes Leben zu führen, Sozialsysteme zu finanzieren und uns wirtschaftlich weiterzuentwickeln. Fakt ist aber auch, dass das fossile Wirtschaftssystem die größte Krise der Menschheit verursacht hat – die Klima-, Biodiversitäts- und Ressourcenkrise.
Wirtschaft und Umwelt?
Lange Zeit wurde die Einhaltung der planetarischen Grenzen in Widerspruch zu wirtschaftlichem Erfolg gesehen. Heute ist klar, wirtschaftlichen Erfolg werden diejenigen haben, die jetzt in Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft investieren.
Mit dem Klimavertrag von Paris hat die Staatengemeinschaft festgelegt, die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen. Alle Staaten sind verpflichtet ihre Zielsetzungen regelmäßig an diesen Zielpfad anzupassen. Daher ist klar, dass Rahmenbedingungen sich immer weiter an den Klimazielen orientieren werden. Viele Unternehmen haben das bereits erkannt und orientieren sich daher an den Zielen des Paris Agreement. Weltweit setzen viele Wirtschaftsinitiativen auf Dekarbonisierung als Geschäftsmodell und zeigen damit, dass Wirtschaft und Umwelt im 21. Jahrhundert nur gemeinsam gedacht werden kann.
Die EU definiert ihre Wirtschaftsstrategie als Green Deal für Europa. Der Green Deal setzt Ziele für verschiedene Umweltbereiche und dient gleichzeitig als Strategie für unterschiedliche Wirtschaftssektoren.
„Umwelt-Wirtschaft“ bzw. Umweltvorgaben für die Wirtschaft wurden lange Zeit als Zielkonflikt mit Erfolg im internationalen Wettbewerb gesehen. Mit dem Green Deal stellt die EU auch klar, in welchen Wirtschaftsbereichen die EU eine Vorreiterrolle und Vorteile im internationalen Wettbewerb erlangen möchte. Gerade in Innovation und Investition in Umwelttechnologien sowie Dekarbonisierungslösungen liegen die Chancen des europäischen Wirtschaftsstandorts.
Umwelt & Umwelt?
Von Zielkonflikten zwischen Umwelt und Wirtschaft sind wir mittlerweile aber auch zu Zielkonflikten zwischen verschiedenen Umweltzielen gekommen. Behindern Arten- und Naturschutz die Energiewende? Kann Energiewende naturverträglich stattfinden? Verursachen Klimaschutz und Dekarbonisierung nur andere Ressourcenprobleme?
In all diesen Umweltbereichen sind die planetarischen Grenzen fast erreicht / überschritten. Alle Umweltziele haben daher die gleiche Berechtigung und Dringlichkeit. Nachhaltiges Wirtschaften muss alle Aspekte berücksichtigen. Deswegen müssen Lösungen auch umfassend und branchenübergreifend gedacht werden. Eindimensionale Lösungen werden nicht mehr funktionieren, wir brauchen systemische Ansätze und Systemveränderung.
Die Taxonomie als zentrales Element des Sustainable Finance Package der EU bietet hier erstmals einen Ansatz für ein Regelwerk, das verschiedene Umweltziele miteinander in Einklang bringt. Eine Wirtschaftsaktivität gilt dann als nachhaltig, wenn sie einen wesentlichen Beitrag zu einem der Umweltziele leistet, die jeweils anderen aber nicht gravierend beeinträchtigt.
Wirtschaftliche Aktivitäten können – auch wenn sie einen Beitrag zur Erreichung von Umweltzielen leisten, wie z.B. die Energiewende zur Erreichung der Klimaziele – Eingriffe bedeuten. Die Diskussion über die Bewertung oder Abwägung des Beitrags zum einen und die Beeinträchtigung eines anderen Umweltzieles, wird oft in Genehmigungsverfahren geführt bzw. dorthin verschoben. Standards für nachhaltige Investitionen / Projekte, die unterschiedliche Umweltziele abbilden, können für die Umsetzung der Projekte hilfreich sein, damit die Interessensabwägung nicht nur in Genehmigungsverfahren passiert. Rechtsmaterien sind daher zu evaluieren und zu prüfen wie die Balance zwischen den öffentlichen Interessen Klimaschutz, Energiewende, Biodiversität und anderen Umweltzielen hergestellt werden könnte.
Akzeptanz & Zeit – Klarheit & Commitment
Es ist klar, dass Projekte zur Umsetzung der Energiewende zügig genehmigt und umgesetzt werden müssen, damit die Klimaziele noch erreicht werden können. Natürlich muss in Genehmigungsverfahren eine Abwägung verschiedener (öffentlicher) Interessen erfolgen und eine Art ökologische Kosten-Nutzen-Analyse für einzelne Projekte durchgeführt werden. Viele Verzögerungen von Projektgenehmigungen werden auf die Debatte um Zielkonflikte bzw. mangelnde öffentliche Akzeptanz zurückgeführt. Es gibt viele Ansatzpunkte in Genehmigungsverfahren, die die Situation für ProjektwerberInnen (Wirtschaft) und Umwelt bzw. Öffentlichkeit verbessern würden. Für die Akzeptanz von Projekten und den Umgang mit Zielkonflikten ist jedenfalls eine übergeordnete Planung, Klarheit und Commitment von EntscheidungsträgerInnen notwendig.
Ja, die Energiewende wird man sehen. Eine Energiewende, die man nicht sieht, findet nicht statt. Dafür braucht es Commitment (politischer) EntscheidungsträgerInnen. Energiewende als gemeinsames gesellschaftliches Projekt erhöht die Akzeptanz für einzelne Projekte. Die Politik darf daher nicht nur neutrale Beobachterin sein, es braucht ein klares Bekenntnis der Politik zu nötigen Projekten (natürlich vorbehaltlich der nötigen Genehmigungen). Grundsätzliche Entscheidungen über nötige Projekte und die Abwägung von Zielkonflikten darf aber nicht nur in Verfahren und an Unternehmen abgeschoben werden. Beteiligung ist wichtig, alle BürgerInnen müssen ihre Interessen einbringen können, dafür gibt es mit der Aarhus-Konvention klare Vorgaben. Politik muss aber auch den Mut und Leadership aufbringen für übergeordnete gesellschaftliche Interessen wie Klimaschutz, Energiewende und Versorgungssicherheit einzustehen.
Es braucht Klarheit: Klarheit über die Bedeutung und das Ausmaß der Aufgabe. Die Bevölkerung muss verstehen können, was Klima-, Biodiversitäts- und Ressourcenkrise bedeuten und welche Handlungsnotwendigkeiten wir haben. Es braucht daher auch Klarheit, was Energiewende und Dekarbonisierung bedeuten. Welche und wie viele Projekte notwendig sein werden, welche Infrastruktur wir brauchen, um energieunabhängig zu werden, in welchen Zeithorizonten wir unser Wirtschafts- und Energiesystem umbauen müssen.
Es braucht übergeordnete Planung über Notwendigkeiten der Energiewende und Notwendigkeiten für Natur- und Artenschutz. Planungen müssen Verbindlichkeiten schaffen, für die Interessensabwägung gültig sein und damit Wirtschaft und Gesellschaft Orientierung geben.
Es braucht ein umfassendes und klares Bild, das die Notwendigkeiten der unterschiedlichen Umweltziele und den Weg dorthin beschreibt sowie die Chancen eines neuen Wirtschaftens im Einklang mit diesen Umweltzielen aufzeigt. Dazu braucht es klare Kommunikation, die unabhängig von kurzfristigen (Einzel)Interessen stattfindet.
Die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft braucht viele branchenübergreifende Lösungen. Für die Umsetzung der Lösungen brauchen wir Akzeptanz und müssen die Bevölkerung mitnehmen. Die Klimakrise gibt uns aber ein Zeitlimit. Nicht nur für notwendige technische, strukturelle und systemische Veränderungen stellt dieses Zeitlimit eine Herausforderung dar, auch demokratische Entscheidungsprozesse sind hier sehr gefordert. Nicht jedes einzelne Projekt wird über Jahre diskutiert werden können. Dennoch müssen Akzeptanz und Beteiligung sichergestellt werden. Ehrliche Information über Notwendigkeiten von nötigen Maßnahmen, offene, klare und sich nicht nach potenziellen Schlagzeilen, sondern nach Fakten orientierende Kommunikation stärken Akzeptanz und reduzieren Widerstand bei einzelnen Projekten.
Die Verfolgung der Ziele des Green Deal kann ein gemeinsames gesamtgesellschaftliches (Wirtschafts-)Projekt sein, das allen EuropäerInnen ein gutes Leben und wirtschaftliche Chancen bietet.
Wir sollten also von Zielkonflikten zu einem Ziel kommen: Ein Standort Europa, der durch Investitionen in und Lösungen für Klimaschutz, Biodiversität und Ressourceneffizienz wirtschaftlich vorne bleibt.