Unionsbürgerschaft
Die Unionsbürgerschaft ist der grundlegende Status des/der Einzelnen, der dazu bestimmt ist, die Gleichheit der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten in der Europäischen Union sicherzustellen. Dieses Verständnis der Unionsbürgerschaft, das der Europäische Gerichtshof im Urteil Grzelczyk artikuliert hat und seither einen zentralen Richtstab für die evolutive Interpretation der Unionsbürgerschaft bildet, war und ist nicht selbstverständlich. Dabei wurde die Einführung der Unionsbürgerschaft ursprünglich vielfach wenig enthusiastisch als ein rein symbolischer Akt abgetan, der nichts an der Substanz der Rechte, die mit dem Status als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats verbunden waren, veränderte.
Dieser anfänglichen Skepsis lässt sich mittlerweile aber nicht nur die interpretative Deutung der Unionsbürgerschaft, sondern auch die herausgehobene Bezugnahme der Unionsbürgerschaft in den Verträgen selbst entgegenhalten. Im Kern steht dabei das legitimatorische Bestreben, die BürgerInnen der EU im Prozess der europäischen Integration stärker einzubeziehen –sie ins Zentrum dieser Entwicklung zu rücken.
Verlust und Erwerb der Staatsangehörigkeit
Die Regelung der Staatsangehörigkeit fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Dass der Union keine Kompetenz zur Harmonisierung der Staatsangehörigkeit zukommt, darf allerdings nicht dahingehend missverstanden werden, dass sich aus dem Unionsrecht nicht doch auch gewisse Schranken bei der Verleihung und beim Entzug der Staatsangehörigkeit ergeben. Auch wenn das Staatsangehörigkeitsrecht zweifelsohne einen hochsensiblen Souveränitätsbereich der Mitgliedstaaten darstellt, ist es insofern bedeutsam, dass die Mitgliedstaaten über ihr jeweiliges Staatsangehörigkeitsrecht über den Schlüssel zur Unionsbürgerschaft verfügen und insoweit auch unionsrechtliche Implikationen zu berücksichtigen sind.
Verlust der Staatsangehörigkeit
Aus der Verknüpfung der Unionsbürgerschaft mit der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats folgt, dass der Verlust der Staatsangehörigkeit auch den Verlust der Unionsbürgerschaft zur Folge hat. Wie der EuGH zuerst im Urteil Rottmann und nachfolgend in den Urteilen Tjebbes und Wiener Landesregierung festgehalten hat, unterliegen die Mitgliedstaaten daher bei Maßnahmen, die den Verlust der Unionsbürgerschaft nach sich ziehen, einer Verpflichtung zur Beachtung des Unionsrechts. Im Konkreten heißt dies, dass ein Verlust der für die Unionsbürgerschaft grundlegenden Staatsangehörigkeit nur dann mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn er im Einzelfall verhältnismäßig ist.
Erwerb der Staatsangehörigkeit
Ähnlich wie beim Verlust der Staatsangehörigkeit fehlt es im Unionsrecht auch in Bezug auf den Erwerb bzw. die Verleihung der Staatsangehörigkeit an konkreten Vorgaben. Gleichzeitig ist aber offenkundig, dass mit dem Erwerb der Staatsangehörigkeit auch der Erwerb der Unionsbürgerschaft einhergeht; die Verleihung der Staatsangehörigkeit also auch unionsrechtliche Auswirkungen hat.
Da die Verleihung der Staatsangehörigkeit und mithin der Unionsbürgerschaft aber regelmäßig mit einer rechtlichen Besserstellung des/der Einzelnen einhergeht, ist ebenso offenkundig, dass die Verleihung der Unionsbürgerschaft gerade keine negativen Folgen aus grundrechtlicher Sicht bzw. insgesamt für die Möglichkeit sich in die Gesellschaft eines Mitgliedstaats zu integrieren hat.
Vor diesem Hintergrund ist daher auch weitgehend umstritten, ob sich aus der Rechtsprechung zum Verlust der Unionsbürgerschaft etwas für den Kontext der Verleihung der Staatsangehörigkeit gewinnen lässt und folglich, ob das Unionsrecht der Hoheit der Mitgliedstaaten bei der Verleihung der Staatsangehörigkeit überhaupt Grenzen setzt. Die Kommission und das Europäische Parlament haben sich im Zusammenhang mit dem Verkauf von Staatsangehörigkeiten – insbesondere in den medial bekanntgemachten Fällen von Malta und Zypern – auf den Standpunkt gestellt, dass der Verkauf der Staatsangehörigkeit mit dem Unionsrecht unvereinbar ist. Die Kommission hat hierzu auch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Malta und Zypern eingeleitet und unlängst verlautbart, dass sie gegenüber Malta eine begründete Stellungnahme abgegeben und damit die letzte Stufe des Vorverfahrens für die Erhebung einer Klage eingeleitet habe.
Der Verkauf der Staatsangehörigkeit ohne jegliche weitere Anknüpfungspunkte für die Absicht einer privaten und/oder beruflichen Integration steht insoweit exemplarisch für das Fehlen eines solchen „genuine link“.
Ähnlich wie im Kontext des Verlusts der Staatsangehörigkeit lässt sich also auch bei der Verleihung der Staatsangehörigkeit eine Verpflichtung zur Beachtung des Unionsrechts annehmen. Die Verpflichtung zur Beachtung des Unionsrechts steht dabei allerdings nicht nur einer Monetarisierung und (politischen) Instrumentalisierung der Staatsangehörigkeit entgegen, sondern spiegelt insgesamt die Bedeutung, die das Unionsrecht der Staatsangehörigkeit als rechtlichen Ausweis der Integration des Einzelnen in eine Gesellschaft zumisst, wider.
Die unionsrechtlichen Schranken bei der Verleihung der Staatsangehörigkeit stellen i.d.S. auch nur die logische Fortentwicklung der bestehenden Schranken beim Verlust der Staatsangehörigkeit dar: Hier wie dort geht es um die Grundlage der Unionsbürgerschaft und genauso wie die Mitgliedstaaten nicht einfach die Staatsangehörigkeit entziehen können, können sie dem Einzelnen auch nicht einfach den Status als Unionsbürger zuerkennen, ohne den Gehalt der Staatsangehörigkeit und damit gleichsam auch die Unionsbürgerschaft der Beliebigkeit Preis zu geben.
Überlegungen zu einer möglichen Weiterentwicklung des Unionsrechts im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts
In der Diskussion rund um den Verkauf von Staatsangehörigkeiten sind gerade in letzter Zeit immer wieder Stimmen laut geworden, die sich für gemeinsame unionsrechtliche Regeln über die Verleihung der Staatsangehörigkeit ausgesprochen haben. Am weitesten geht hier sicherlich eine Studie des Europäischen Parlaments, in der die Autoren von einer unionsrechtlichen Kompetenz zur Regelung sog. Citizenship-Investment-Programme ausgehen und damit der Union insgesamt eine Kompetenz zur Harmonisierung im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts zusprechen. Diese Position scheint angesichts des allgemein anerkannten und auch in der Rechtsprechung immer wiederholten Umstands, dass die Mitgliedstaaten dafür zuständig sind, die Kriterien für den Verlust und die Verleihung der Staatsangehörigkeit festzulegen, aber nicht haltbar.
Dem steht, wie dargelegt, allerdings nicht entgegen, dass sich aus dem Unionsrecht nicht bereits jetzt bestimmte Schranken für die Verfügungsmacht der Mitgliedstaaten ergeben.
Für die Frage nach einer zukünftigen unionsrechtlichen Einhegung des Staatsangehörigkeitsrecht der Mitgliedstaaten sind daher auch zwei Ansätze denkbar.
Einführung einer Kompetenz für die Union im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts
Erstens wäre es im Rahmen einer Vertragsreform möglich, der Union eine Kompetenz zur Angleichung bzw. Harmonisierung des Staatsangehörigkeitsrechts der Mitgliedstaaten zu übertragen. Im Rahmen einer solchen Kompetenz könnte die Union dann gemeinsame (Mindest-)Kriterien für die Verleihung und/oder den Verlust der Staatsangehörigkeit sekundärrechtlich festlegen. Angesichts ihrer besonderen Sensibilität erscheint die Übertragung einer solchen Kompetenz, die in den Kernbereich der staatlichen Souveränität hineinreicht, allerdings mehr als fraglich. Neben den politischen Unwägbarkeiten ist dabei zu berücksichtigen, dass dies auch verfassungsrechtliche Probleme aufwirft, die letztlich in der Frage kulminieren, ob ein Mitgliedstaat noch als souveräner Staat betrachtet werden kann, wenn die Zuständigkeit zur Festlegung der Kriterien für die Verleihung und/oder den Verlust der Staatsangehörigkeit – zumindest teilweise – auf die Union übergegangen ist.
Die vertragliche Verstärkung und Konkretisierung der Verpflichtung zur Beachtung des Unionsrechts im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts
Eine zweite – weniger invasive – Möglichkeit bestünde darin, die bereits jetzt bestehenden unionsrechtlichen Schranken im Vertrag hervorzuheben und zu konkretisieren. Angelehnt an die Evolution der Grundrechte und die Anerkennung der Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts durch den Vertrag von Maastricht hieße dies, in den vertraglichen Bestimmungen zur Unionsbürgerschaft einen entsprechenden Zusatz einzufügen, dass die Mitgliedstaaten beim Entzug und der Verleihung der Staatsangehörigkeit verpflichtet sind das Unionsrecht zu beachten. Die Zuständigkeit für die Festlegung der Kriterien für die Verleihung und den Verlust der Staatsangehörigkeit verbliebe damit weiterhin in der ausschließlichen Kompetenz der Mitgliedstaaten, dies allerdings eingebettet in die explizite vertragliche Verpflichtung zur Beachtung des Unionsrechts.
In der Konsequenz ergäbe sich hieraus eine graduelle Weiterentwicklung des Unionsrechts, die nicht nur die unionsrechtliche Bedeutung der Staatsangehörigkeit als Ausgangspunkt für die Unionsbürgerschaft unterstreicht, sondern auch mit einer Stärkung des „Rechts auf eine Staatsangehörigkeit“ einhergeht. Dies meint nicht nur, dass das Unionsrecht den Mitgliedstaaten beim Entzug der Staatsangehörigkeit wirkmächtige Grenzen auferlegt, sondern die Betrachtung der Staatsangehörigkeit im Unionsrecht, als Ausdruck der dauerhaften Integration in die Gesellschaft eines Staates, mittel- und langfristig auch den oft sehr restriktiven Zugang zur Staatsangehörigkeit.